Weder Fisch, noch Fleisch: Mein erster Eindruck hier… und auch nicht am Teller

Ich koennte mich eingraben in das ayurvedische Essen hier. Das ist auch der Grund, warum ich tatsaechlich befuerchte wirklich mit mehr Kilos zurueckzukommen als ich das geplant hatte. Nun ja, aber so einfach KANN das doch nicht klappen, immerhin bekommen wir hier ausschlieszlich Reis, der vor allem im Sueden, also auch hier in Kerala, als DAS Grundnahrungsmittel schlechthin gilt.

Der Reis wird innerhalb des Thalis, einer von Region zu Region unterschiedlich zubereiteten Platte, bestehend aus lauter kleinen Metallschuesselchen gefuellt mit Chutney, Dhal, Gemuese, Suppen, Currys oder Pickles, gereicht – Und ab dann ist Schlemmen angesagt! Selbstverstaendlich, dass auch alles vegetarisch ist.

Bis jetzt ist mir nix abgegangen, es schmeckt alles hervorragend, kaum vorstellbar, dass die Speisen “drauszen”, also auszerhalb des Health Retreat Centers, noch viel besser schmecken sollen als drin, wie das von so manchen Mitkurenden behauptet wird. Apropos Mitkurende: Momentan teile ich den Fruehstuecks-, Lunch- und Dinnertisch mit Maurice, einem Belgier, der zeit seines Lebens fuer die United Nations durch aller Herren Laender gereist ist und diese Kur nun als Abschluss seines 4-monatigen privaten Indientrips absolviert, auszerdem Thomas, einem Mitvierziger aus Berlin sowie zwei Damen aus Schweden. Neu hinzugekommen sind gestern Frank, ein 70-jaehriger Daene sowie eine aeltere Lady aus Manila, die hier unbedingt Gewicht verlieren will. Es faellt auf, dass ich die Juengste bin, aber das kenn ich ja schon von diversen anderen Aufenthalten… und irgendwie habe ich mich drauf eingestellt.
Kerala zieht, und das ist, warum es wohl DER Bundesstaat ist, um den es im Vergleich zu allen anderen Teilen Indiens wirtschaftlich noch am besten bestellt ist, durch seine jahrtausendealte Ayurveda-Tradition Touristen aus aller Welt an. Und auch ich wollte diese ayurvedische Heiltherapie genau dort erfahren, wo sie ihren Ursprung hat. Es mag sich vielleicht eingeboren oder hinterwaeldlerisch anhoeren, wenn man erfaehrt, aus welchen Ingredenzien seine persoenliche Medizin gemixt wird, zB aus Rinden, Blaettern, Gold, Silver (!), aus zerstampften Wurzeln – jedoch nur aus jenen, die von Norden nach Sueden laufen und nicht jenen, die von Westen nach Osten gehen – oder aus Elfenbein-Pulver…, aber allein dieses Wissen loest ein wunderbar magisches Gefuehl in mir aus.

So liege ich nun insgesamt 2 Stunden taeglich am Massagetisch, schlucke brav meine mit Gold versetzten “Mind pills” (ja, die habe ich bekommen, um meinen Geist ein bisschen auszuschalten…), gehe jeden Tag spaetestens um 21 Uhr schlafen, um am naechsten Morgen zeitig – am besten noch vor Sonnenaufgang – meinen Spaziergang rund um die Reisfelder zu starten. So auch heute! Ich gehe naemlich doch spazieren, halt einfach nicht in der prallen Sonne. Da wuerde man auch nicht besonders weit kommen, und man sollte sich – egal wo man sich befindet – immer die Einheimischen als Beispiel nehmen: Um die Mittagszeit ruhen die dann naemlich an schattig(er)en Plaetzen aus und lassen die Hitze Hitze sein. Detto die hohe Luftfeuchtigkeit.

Beim heutigen Ausflug hab ich mich den aelteren Herren, Frank und Maurice, angeschlossen. Frank kommt schon zum fuenften Mal her und war gleich erstaunt, wieviel sich bei den Haeusern, in den Doerfern bautechnisch innerhalb eines Jahres getan hat. Ja, Kerala, laut Reisefuehrer das “Indien ohne Fehler”, hats im Vergleich zu den anderen Landesteilen gut. Die Umweltverschmutzung ist angeblich nicht so hoch (fuer mich als Europaerin faellt einem der Muell klarerweise sofort auf, und es gibt auch konkrete Hinweise, dass der (detto Sonder-)Muell einfach hinterm Haus verbrannt wird), es gibt geringere Armut, weniger Bettelei, eine hoehere Bildungs- und Alphabetisierungsrate sowie eine geringere Geburtenrate, was im ueberbevoelkerten Indien kein Fehler sein kann. Klingt fast nach Fortschritt, der aber bei genauem Hinsehen nicht erreicht ist, denn Hochzeiten werden immer noch arrangiert, Sex vor der Ehe – NO way, und die Frauen gelten – wie bei uns im vorvorigen Jahrhundert – immer noch als Dienerinnen ihrer maennlichen Familienmitglieder – ganz deutlich zu spueren und zu sehen, wenn man durch die Doerfer wandert. Nun habe ich mich nie besonders als Emanze oder aehnliches engagiert, aber diese Wahrnehmung hat mir tatsaechlich mal die Lade runterfallen lassen. Nun haben es aber Maenner aus unteren Kasten, aus aermeren Schichten auch nicht “besser”; ein Beispiel von Sonntagnachmittag, wo wir mit der alten Partie, von denen drei schon abgereist sind, zum Strand gefahren sind: Einfach um bissl Ozeanluft zu schnuppern, die Zehen in den Sand zu stecken und den Fischern zuzuschauen. Genial wie da drei Fischer ploetzlich auf Zurufen ihr ca. 15 Meter langes Netz ausgebreitet haben, damit gar nicht allzuweit ins Meer gelaufen, die naechste Welle abgewartet haben und mit gelungenem Fang wieder an den Strand retour gekommen sind. Fuer 1 Kilo frischen Fisch verlangen sie 70 Rupien, das ist grade mal ein bisschen mehr als 1 Euro. Aber sowohl Fischer als auch Kaeufer haben zufriedene Gesichter gemacht.

Und dann fange ich an zu ueberlegen, haben es WIR denn besser? Wer behauptet denn, dass es den Menschen hier schlecht geht, sie kennen ja gar nix anderes. Es waere doch ein Wahnsinn hier ploetzlich mit unserer neuen Welt Einzug halten zu wollen. Ein bisschen mehr Toleranz von den Keraliten sollte ich mir schon abschauen, wenns um das Beurteilen anderer/fremder Kulturen geht. Sind sie es doch, die dir voellig unvoreingenommen gleich mit einem Laecheln begegnen!

One thought on “Weder Fisch, noch Fleisch: Mein erster Eindruck hier… und auch nicht am Teller

  1. Liebe Agi! Wie du siehst lese ich sehr fleißig und aufmerksam deine posts und sie gefallen mir sehr, sehr gut – das liegt zum einen an den schönen bildern die du malst, zum anderen bestimmt auch daran, weil ich viele deiner gedanken, emotionen und bilder teilen kann… ich freue mich jetzt schon auf gemeinsamen austausch der trans-asiatischen-gedankenwellen 😉 aber bis dahin sind's noch vieeeeele tage… bussi, deine kät

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