Böhmische Dörfer

(01. Aug. 2021) – Erstmals während Corona verschlägt es mich wieder ins Ausland! Ich bin ganz aufgeregt wieder mal Urlaub zu machen, stelle aber schon bald fest (tatsächlich erst beim Grenzübertritt…), dass ich nicht besonders gut aufs Reisen vorbereitet bin – etwa wenn es um andere Währungen geht. Erst als ich vom Zug aus ein riesiges Schild mit “Change/Wechselstube” erkenne, mache ich mir Gedanken drüber. Häh? Warum? Tschechien ist doch bei der EU!? Steht doch auch in meinem Reiseführer (meine Version wurde zuletzt 2011 aktualisiert) zu lesen, dass[d]er Euro […] erst mit dem Beitritt zur Europäischen Währungsunion eingeführt (voraussichtlich nicht vor 2014) [wird]. Bis dahin ist die Tschechische Krone, abgekürzt Kc, gesetzliches Zahlungsmittel.“ Aber wir haben 2021, da muss sich doch was getan haben! Nope!

Wow! Ich muss also alles wieder umrechnen, was ich mir leisten will und schon fühle ich mich in die späten 80er und 90er Jahre zurückgeworfen, in denen ich begonnen habe, über die Grenzen Österreichs hinauszublicken. So richtig über den Eisernen Vorhang habe ich aber nie geblickt. Meine erste politische Erinnerung – abgesehen von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 (wir Kinder haben damals den Gang in die Sandkiste als Mutprobe abgelegt), wenn die als solche gilt – geht ziemlich sicher auf das Jahr 1989 zurück. Der Fall der Berliner Mauer bzw. des Eisernen Vorhangs. Zwar wusste ich als gerade Zehnjährige nichts mit diesem Begriff (Wie kann ein Vorhang eisern sein? Wo ist der befestigt? Im Himmel?) anzufangen, aber ich habe an diesem Novembertag vor dem Röhren-TV, auf den die gesamte Familie gebannt geblickt hat, gespürt, dass hier etwas Großes im Gange ist.

Böhmisch Budweis

(26.-28. Juli 2021; Nachtrag) – Dabei war Tschechien nie groß auf meinem Radar, wohl aus Angst, dass hinter jenem Vorhang einzig das (kommunistische) Böse lauert und die Menschen dahinter eisern am Ostblock festhalten; dabei ist das, was ich die kommenden fünf Tage zu sehen bekomme, überraschend entzückend, urig, geschichtsträchtig, (n)ostalgisch und sogar ein wenig kitschig. Ich bin plötzlich in einer anderen Welt, und das obwohl ich nur ca. 200 km von Wien (resp. 80 km von Linz) entfernt bin.
Ich bin in České Budějovice (Böhmisch Budweis) gelandet, DER Bierstadt der tschechischen Republik schlechthin.

Ich bin ganz baff! Damit hätte ich nicht gerechnet. Besonders glücklich bin ich darüber, dass meine Pension “U tri sedlaku” (dem populären Restaurant “Masné krámy” (zu deutsch “Fette Geschäfte”) in den denkmalgeschützten Fleischbänken zugehörig) nur wenige Minuten vom Ortszentrum entfernt ist. Und genau dieser 133 x 133 Meter große, quadratische “Premysl Otakar II-Platz”, in weiterer Folge einfach “Hauptplatz” genannt, ist dieser Tage fast menschenleer. Ist das dem Virus zu “verdanken”? Erst am Abend ist er belebter, scheint mir; da wird vor dem Rathaus eine Bühne mitsamt der Technik aufgebaut und es schlendern ein paar mehr Leute über den Platz, vorbei am barocken Samson-Brunnen (eine Samson-Statue duscht sich ganz oben und macht mich ob der hohen Temperaturen neidisch), durch die schattenspendenden Arkadengänge, hin zu den in den Lauben untergebrachten Restaurants, Cafés, Bars und so genannten “Pivnices” (Bierkeller). Es ist 18:45 Uhr an Tag 2 meines Aufenthaltes und die Sonne sticht wie nur was. Ich beschließe die im Reiseführer in höchsten Tönen gelobte Bierstube namens “Budvarka” aufzusuchen. Die ist nur unweit vom Hauptplatz entfernt. Bestellt werden “Rindfleischbacken auf Bier mit Wurzelgemüse und Kartoffelpüree” inklusive einem lokal gebrauten “Budvar”. ?
Na Zdraví, Premysl Otakar! Wie schön, dass du die Stadt Budweis gegründet hast!

Natürlich klettere ich auch die 225 Stufen auf den Schwarzen (Glocken-)Turm (16. Jhdt.) hinauf! Dieser ist mit 72 Metern das höchste Gebäude der Stadt und bietet mir somit einen herrlichen Ausblick auf Budweis sowie das Umland. Ich erschaudere als ich die drei Atommeiler von Temelin vom Turm aus mit freiem Auge erkennen kann. Klar weiß ich, dass Österreich von mehreren aktiven AKWs umgeben ist, aber ein solches auch mal selbst zu sehen, ist irgendwie ziemlich schiach und macht gleichzeitig Angst. ?
(Ja, ich weiß, dass auch im heimischen Zwentendorf ein AKW steht, aber das schaut nicht nur weniger bedrohlich aus, sondern ist es fix auch!).

Während meines Besuchs umrunde und durchschreite ich den Stadtkern mehrmals. Hin und weg bin ich von jenen Kunstwerken, die gerade heuer im öffentlichen Raum – und damit kostenfrei – ausgestellt werden, finde sogar einen Folder mit mehr Infos drin (wenn ich bloß Tschechisch könnte!) und wandere so von einem zum andern. Oftmals überquere ich bei meinen Rundgängen die Maltsch (tschechisch Malše), die irgendwo im Zentrum von Budweis in die Moldau (tschechisch Vltava) mündet.

Ahoi, České Budějovice! Du hast mir gut gefallen! … trotz oder wegen der vielen pinken Fassaden?!? 


Bömisch Krumau

(28.-31. Juli 2021; Nachtrag) – Apropos Moldau. Die hat mich doch dann tatsächlich stromaufwärts mitten ins Mittelalter gespült. Als ich in Český Krumlov (Böhmisch Krumau) ankomme, fühle ich mich sofort ins dunkle Zeitalter zurückversetzt. Liegt es an den gepflasterten (NICHT trolley-tauglichen!) Gässchen und Wegen, an der auf hohen Felssteinwänden thronenden und auf die Stadt herabblickenden mächtigen Burg, am mittlerweile etwas regnerisch-trüben und fast kühlen Wetter (Temperatursturz von 35 auf 22 Grad) oder doch an dem sozialistischem Plattenbau-Hotel namens “Hotel Vltava”, in das ich nun für die nächsten drei Nächte einchecke? Hmpf. Da hätte ich mich besser umschauen können. Na egal!

Ich sage also “Dobrý den, Český Krumlov!”

Das Schloss prägt die Stadt – ganz egal, wo man steht. “An dem Wahrzeichen der Stadt wurde sechs Jahrhunderte lang gefeilt, immer wieder wurde um-, an- und neu gebaut. Die drei großen Adelsgeschlechter Südböhmens, die Rosen-, Eggen- und Schwarzenberg, zeichneten dafür verantwortlich. Das Resultat ist die nach Prag zweitgrößte Burganlage Böhmens mit fünf Schlosshöfen, um die sich zig Gebäude gruppieren mit mehr Zimmern, als das Jahr Tage hat.” Bei der Anzahl der Zimmer kann meine Plattenbau-Bleibe aber auch locker mithalten, da wette ich! 🙂

Die Burg schaue ich mir jedenfalls genau an, steige auf den Schlossturm hinauf und in das Kellerlabyrinth, in dem sich aktuell eine fantastische Ausstellung des Krumauer Künstlers Miroslav Páral befindet, hinunter. Die ist gewaltig. Gruselig. Und skurril. Mir haben es besonders seine Waschbecken und Aschenbecher in Form von Unterkiefern und seine fingerförmigen Salz- und Pfefferstreuer sowie Türklinken angetan. Ich hab oft lachen müssen – nicht über seine Kunstwerke, sondern mit ihnen. Klingt komisch, ist aber so.

Während ich mich in den unterirdischen Schloss-Gewölben (und manchmal auch in rustikalen Kerzenscheinkellern bei einem kühlen Blonden…) herumtreibe, vergnügen sich die sonstigen Touristen (die btw in Krumau zahlenmäßig mehr zu sein scheinen als in Budweis; vielleicht aber auch, weil hier alles enger und verwinkelter ist?) auf dem “Böhmischen Meer” – so wird die Moldau von den Einheimischen genannt – beim Kanu-, Paddel- und Schlauchboot-, Floß- oder SUP-Fahren.

Der Fluss ist voll von Booten! Wahnsinn! Auch ich wage mich auf eine Floß-Führung (schließlich will ich Fotos machen und nicht rudern) inklusive eines böhmakelnden jungen Gondolieres, der sich bei uns (mir und der deutschen Mormonen-Gruppe, die mich keines Blickes würdigt) mehrmals für sein “slecktes Deutsch” entschuldigt. Während die Mormonen jeden seiner Fehler korrigieren, finde ich Matyáš’ Stil und Akzent sehr charmant!

Eine Führung durch die Burg (Tour 1) lasse ich mir ebenfalls nicht entgehen. Während dieser einen Stunde plaudere ich immer wieder mit einer New Yorker Rechtsanwältin (meist über Corona und die unterschiedlichen Maßnahmen unserer Länder), die ich in einem der Burghöfe kennengelernt habe.
In Erinnerung bleibt mir der “Maskensaal” mit seinen fast comicartigen Illusionsmalereien sämtlicher Comedia dell’arte-Figuren sowie die Bärenfelle (mitsamt Kopf), die fast in jedem der Räume ausgelegt sind.

Bären – gutes Stichwort: Seit mehr als 300 Jahren werden im Burggraben Bären gehalten. In meinem Reiseführer (ich erinnere, ich verwende ein älteres Exemplar) ist noch von Katerina, Vok und Marie Terezie die Rede, die zu dritt “den Schlossgraben umpflügen”. Heute sind es nur mehr zwei, denn Braunbärin Katerina ist leider bereits 2017 im stolzen Alter von 32 Jahren eingeschläfert worden. 🙁

Eventuell ist sie das gewesen? (siehe Bild 1 unten, mit grünem Untergrund)

Den letzten Tag in Krumlov verbringe ich auf kirchlichen Pfaden. Am Vormittag wandere ich zu den “Drei Kreuzen”, eine kleine Kapelle auf einer Anhöhe (Kreuzberg), von der man wieder einen wunderbaren Ausblick über die Stadt und die mäandernde Moldau genießen darf. Die Kühle der umliegenden kleinen Wälder und Wiesen tut gut, denn man merkt schon zeitig in der Früh, dass es wieder heiß werden wird. Beim Raufgehen schwitze ich ordentlich.

Nachmittags wandle ich durch die Gänge des Doppelklosters (Minoriten und Klarissen), statte mittags der Brauereigaststätte Eggenberg einen Besuch ab und entspanne im Anschluss barfuß auf den grünen Gründen des Klosters, wo auch wieder eine Bühne plus Equipment für ein abendliches Konzert aufgebaut und die zugehörige Outdoor-Gastro vorbereitet werden.

Apropos Gastro: Die Böhmische Küche ist gut (deftig) und günstig und die Biere sind alle eine Verkostung wert! Cheers!
Hinfahren heißt mein Tipp!

Ps.: Das allerletzte Foto ist ein Bild einer Abbildung. 😉 Das wäre mir für meinen Magen definitiv zu heftig-deftig!

Pps.: Und was mir noch einfällt: Kennt ihr eigentlich die Sätze, mit denen man jeden Fluss fertigmachen kann*?

  • Schwapp nicht gleich über!
  • Bleib stehen, wenn man mit dir redet!
  • Mach dich nicht so breit!
  • Du kippst sowieso schon von einmal Reinpinkeln um!
  • Mäander nicht so rum! ??

*) Hier gibts noch ein paar mehr: 8 Sätze, mit denen man jeden Fluss fertigmachen kann

2 comments on “Böhmische Dörfer

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert